Dienstag, 2. März 2021

Trauma - Gewalt gegen Kinder - Missbrauch - Ignoranz

 

Ich habe heute (das war am 30.09.2020) einen Vortrag gehört, der mich sehr berührt hat, weil ich es immer wieder so erlebe. Es geht um Traumatisierung von Kindern und die Ignoranz dessen in der Gesellschaft.


Zitat aus dem Vortrag:

 

Was ist Traumatisierung?
Was ist Trauma?


Trauma heißt Verletzung.
Traumatisierung heißt verletzt werden.


Die Frage ist, wie kann ein Kind sich selbst und ihre Umwelt hervorbringen, wenn das passiert?

 

Wie bin ich?


Wie ist mein Körper?
Wer tut was mit mir?


Und was wenn das ständig wieder passiert, immer wieder schädlicher Sachen. Sachen, die mehr kaputt machen als Materie, Gehirn, Körper und Geist.


Was wenn es kein Schutz gibt?


Was wenn die Familie da ist, aber nichts sieht, nichts hört, und nichts wahrnimmt?


Das Kind ist alleine.


Wie kann ein Kind was durch und durch sozial ist und in affektiver Beziehung wachsen muss,
wie kann es sich normal entwickeln?


Und wenn es auch noch Schweigen muss, niemals davon reden darf.


Wenn du davon redest, dann werde ich dich töten und dann wird es noch schlimmer?


Das Kind hat nur noch in der Stille zu leben, nicht laut.


Und dann ist es noch so, dass die Familie, Nachbarn und auch professionelle Menschen,
sowie Ärzte, Psychologen, Psychiater es lieber nicht sehen wollen.


Das ist die Geschichte der Psychologie. Ich könnte lange davon reden.


Aber wir wollten es lieber nicht wissen.
Die Gesellschaft will es nicht wissen.


Wie kann es sein, dass Tardieus Artikel über Kindesmissbrauch im 19. Jahrhundert, wo es sich um körperliche Verletzungen handelte, überhaupt erstmal nicht publiziert werden konnte? Und als es publiziert wurde, nur mit viel Mühe und dann hat keiner es gelesen.


Wie konnte es sein, dass Sigmund Freud seinem Schüler Ferenczi verboten hatte, seine Artikel, die sich auf Kinder bezogen haben zu publizieren?


Warum ist das Wort Trauma erst Ende des 19 Jahrhundert, das erste Mal auch im geistigen Bereich gebraucht wurden?


Warum ist Anerkennung für Traumata, zum größten Teil durch Kriege gekommen? Und dann immer wieder vergessen worden?


Alles was gelernt wurde über Trauma in der Psychiatrie, nach dem Ersten Weltkrieg war vergessen, als der Zweite Weltkrieg anfing. Und dann wurde wieder alles vergessen und in Vietnam musste alles wieder aufs Neue erfunden werden.


Und warum denn dieses Interesse bei Männern, wo sind denn die Frauen und Kinder?


Wurde 1859 nicht die Hysterie durch Briquet untersucht und klar beschrieben, dass die meisten Kinder und Frauen von schlimmer Traumatisierung berichten?


Warum sollten wir das nicht wissen?


Ignoranz ist überall.


Bei Tätern herrscht Ignoranz von Opfern.


In der Familie herrscht die Ignoranz der Bedürfnisse der Opfer.


Nachbarn, professionelle Leute, Gesellschaft, überall die gleiche Sache.


Warum hat es so lange gedauert, dass in Boston anerkannt worden ist, wie viele Priester Kinder systematisch missbrauchen?


Und die Kirche war sehr aktiv in der Verneinung.

Das ist die Traumawelt.

Ignoranz.

Warum?
Weil wir fragil sind.


Wenn wir fragil sind, müssen wir es bewältigen.


Also reden wir von der Trauma Trinität:


Ignoranz – Fragilität und Kontrolle."


Zitat Ende.


Ellert Nijenhuis – Vortrag: Chronische Traumata. Ellert Nijenhuis Ph.D. ist Psychologe, Psychotherapeut, Traumaforscher und Experte in Diagnostik und Behandlung schwerer Traumata.


Mich hat diese Textpassage heute sehr sehr berührt, weil er genau das wieder spiegelt, was sich als schwerst traumatisierter Mensch mein ganzes Leben lang schon in meinem Umfeld erlebe. Ignoranz für mein Leiden. Ignoranz für meine Empfindsamkeit.

Ignoranz für meine bis heute anhaltende Zerstörung meines lebendigen Selbst. Ich bin um überhaupt mit dieser Erfahrung umgehen zu können, um weiter leben zu können, sehr früh in eine Haltung des Verstehens der Täter gerutscht. Sowie in eine Haltung der Kompensation durch das Helfen andere Betroffener.

Ich habe viele Jahre im Kindergarten als Erzieherin gearbeitet, weil ich mir erhoffte, andere Menschen, ja vor allem Kinder vor der Gefahr der Traumatisierung zu bewahren. Aber ich sah, dass das überall geschieht und niemand etwas unternimmt. 

Immer dann wenn ich diese Vorfälle angesprochen habe, wurden Vorfälle bezweifelt und geleugnet. Ich habe es vielfach erlebt, wie Eltern als auch Erzieher sich Kindern gegenüber übergriffig verhalten haben, wie das Wohl argloser Kinder immer wieder gefährdet wurde, weil Kinder für viele Menschen anscheint keinen Wert haben.

Weil sie ihre eigene (unbewusste) Wertlosigkeit im Kind sehen und drauf hauen, ob physisch oder in Form eines perfiden emotionales Missbrauchs. Und dann sagen sie, wieso es war doch nichts. Ich sehe nichts. Stell dich nicht so an. Sei nicht so Über-Sensibel.

Und lange Zeit habe ich mich auch noch schuldig gefühlt, als wäre ich zu sensibel. Als wäre meine Empfindsamkeit das Problem.

Ich habe erlebt, wie ein ganzes System wegschaut, wenn man diese Situationen in denen Gewalt und Ignoranz gegenüber Schwächeren geschieht, anspricht. Immer wieder habe ich das erlebt. Und immer wieder war das für mich ein erneuter Schlag ins Gesicht, denn die Ignoranz bedeutet für mich eine kontinuierliche Retraumatisierung.

Wieder werde ich dazu verdammt zu Schweigen, obwohl ich nicht mehr schweigen will. Ich habe erlebt, wie Kollegen wegschauen, wie Chefs wegschauen, wie Jugendämter wegschauen. Wie Eltern wegschauen. Wie Freude wegschauen.

Ich habe erlebt, wie meine Eltern weggeschaut haben, als ich versucht habe mit ihnen aufzuarbeiten, was in meiner Kindheit an Gewalterfahrungen geschehen war. Aber sie haben die Gewalt alle geleugnet. Sie haben mir ein Gefühl gegeben, als sehe ich da etwas nicht richtig. Als sei ich zu übersensibel. Als sei ich Schuldig.

Ich habe erlebt, wie meine Freunde weggeschaut haben, als ich begann von meinen frühen Traumatisierungen und dessen Folgen zu sprechen, die ich über sehr viele Jahre still erdulden musste.
Über die ich viele Jahre still geschwiegen habe, weil ich spürte, wie unangenehm, dieses Thema allen ist. Als ich anfing zu reden, wendeten sie sich ab. Wieder fühlte ich mich schuldig.

Ich habe erlebt, wie Menschen die diese Muster der Gewalttätigkeit haben, mich nicht gehört haben, als ich sagte, du tust mir mit deinem Verhalten weh. Du ignorierst mich, mit dem was ich dir mitteile. Sie haben meine Bedürfnisse einfach ignoriert.

Um so verletzlicher ich mich gezeigt habe, um so mehr haben sie drauf gehauen. Das schlimmste an der ganzen Gewalt war für mich immer die Verleugnung der Tat.

Ich lasse mich nicht mehr verleugnen.
Das ist der fehlende Teil der in meinem Schatten lag.

Ich habe vor kurzem meinen Job hingeworfen, begleitet von einem lauten Befreiungschrei. Und wieder wurde ich verständnislos angeschaut. Wieder gab man mir die Schuld, als ob mit mir irgendwas nicht stimmt. Ich hab gesagt ich kann hier nicht mehr arbeiten, weil ich Pädagogin bin. Ich habe die Missstände lauthals angesprochen. Aber sie haben alles wieder verdrehen wollen, als wäre ich die die etwas nicht richtig sieht. Und lange Zeit habe ich das geglaubt, bis ich mich ganz annahm, mit all der Ohnmacht die dabei erneut hervorbrach.

Ich kann dieses System, welches die Bedürfnisse von Kindern systematisch ignoriert nicht länger unterstützen. So fühle ich mich schon mein ganzes Leben lang. Aber ich hatte Angst meine Wahrheit auszusprechen. Wenn ich von meinen authentischen Bedürfnissen und meinen Gefühlen spreche, dann werde ich regelmäßig ignoriert. Man verdreht die Augen über meine Empfindsamkeit.

Weil alle weggeschaut haben, konnte ich nur selbst hinschauen. Wo in mir ist die Gewalt, die Gewalt und die Ignoranz ich tagtäglich im Außen sehe? Wo ist der Täter in mir? Wenn es da noch etwas gibt, möchte ich es sehen.

Was mir jedoch fehlte, war mich selbst ernst zu nehmen. Ich tat es nicht, weil ich mich dann noch ohnmächtiger fühlte, einer Welt zu begegnen die Ignorant ist gegenüber der Gewalt, die Kindern zugefügt wird. Ich hatte Anhst vor den Konsequenzen.

Warum schafft es eine ganze Gesellschaft, dieses Thema fortwährend von sich zu weisen, als ob das nichts mit ihr zu tun hätte?

Was muss passieren, dass ihr endlich hinschaut?

Was wäre die Folge dessen?

Müsste ihr dann nicht euer Herz öffnen?

Aber vielleicht geht es euch genauso wie mir?

Ihr wüsstet dann gar nicht wie ihr das aushalten sollt,
mit einem empfindsamen Herzen durch diese Welt zu gehen und all dieses Leid zu fühlen. 

Diesen Text schrieb ich vor einem halben Jahr, als ich einen weiteren Schritt meiner Selbstliebe entgegen schreiten musste. Irgenwann ist man so stark, dass sich die Selbstverleugnung auflöst. Ich habe ca 6 Jahre daran gearbeitet mein Trauma zu erlösen. Und es war schwer, aber wenn ich das geschafft habe, schaffst du das auch. 

 




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